10 Jahre Urlaubsidylle-Alb

pflegeurlaub - betreuung besser als im pflegehotel

„Ich darf hier gar nichts machen, nicht einmal das Glas zurückbringen“, meint Erika Weik strahlend, die 84-Jährige freut sich mit dem Eiskaffee in der Hand bei der gemütlichen Mittagsrunde über Entspannung pur. „Die Seele baumeln lassen“ ist an ihrem Urlaubsort im beschaulichen Hengen keine leere Worthülse, sondern Programm: „Wir bieten hier keinen Pflegeaufenthalt und sind auch keine Kurzzeitpflege“, erklärt Gastgeberin Sabine Seckinger. „Wir möchten, dass unsere Gäste zu 100 Prozent so Urlaub machen, wie sie ihn früher hatten.“ Denn mit ihrem Ehemann Rolf kann Erika Weik nicht mehr einfach nach Lust und Laune reisen: Der 84-Jährige sitzt im Rollstuhl, ist ein Pflegefall. Seine Ehefrau kümmert sich täglich um ihn, Zeit zum Durchschnaufen findet sie dabei selten. Umso mehr genießt sie den Aufenthalt in der „Urlaubsidylle-Alb“: „Wir haben lange nach so etwas gesucht, aber sonst nirgendwo gefunden“, erklärt die Seniorin, die bei Ansbach lebt.

Raus aus dem üblichen Alltag mit seinen vielen Pflichten, gemeinsam mit dem Partner neues erleben und gleichzeitig den Pflegenden Freiräume schaffen, damit sie zur Ruhe kommen und Kraft tanken können – das ist das Prinzip der „Urlaubsidylle-Alb“: Zum inzwischen dritten Mal genießen die Weiks den Urlaub mit Rundumversorgung und die familiäre Atmosphäre. Seit ihrem ersten Aufenthalt sind auch Gunda Müller und Erwin Zeller zum selben Zeitraum für jeweils zwei Wochen in der „Urlaubsidylle-Alb“, längst haben sich die Ehepaare angefreundet: „Wir telefonieren oft miteinander“, erklärt Gunda Müller, die in Heilbronn lebt. Es sei kein Zufall, dass die Paare harmonieren: „Ich schaue, dass die Konstellation passt“, erklärt Sabine Seckinger, sie ziehe bewusst im Hintergrund die Fäden. Denn: „Ich möchte, dass sich alle in der Gemeinschaft wohlfühlen.“ Während des Aufenthalts bilden die Gäste – es stehen drei barrierefreie und mit Pflegbetten ausgestattete Appartements zur Verfügung – sozusagen eine Wohngemeinschaft, wie Sabine Seckinger lachend meint. Denn es wird so gut wie alles während des Aufenthalts in der Gemeinschaft gemacht.

Dass gilt auch für Margrit Lembke, die in der Gruppe jedoch ihre Startschwierigkeiten hatte – aus sprachlichen Gründen. Die gebürtige Düsseldorferin lebt inzwischen zwar in Faurndau, aber umgeben von zwei schwäbischen Ehepaaren konnte sie den Gesprächen nicht immer folgen: „Jetzt klappt’s“, meint die 82-jährige Rollstuhlfahrerin, die bereits zum neunten Mal in Hengen ihren Urlaub verbringt: „Ich war auch schon zwei Mal im Jahr hier“, erzählt sie. Doch vergangenes Jahr pausierte sie nach dem Tod ihres Partners Herbert: „Ich habe mich nicht getraut, alleine zu kommen und hatte ehrlich gesagt etwas Schiss, weil ich ja jetzt alleine bin“, gibt die Seniorin zu. „Es geht aber alles gut und ich fühle mich sehr wohl.“

Ausgiebig schlafen und schlemmen, die Ruhe genießen und einmal ein Buch lesen können oder auch kleine Spaziergänge machen: Die Tage sind für die Pflegenden wie auch für ihre pflegebedürftigen Partner ausgefüllt, auch wenn’s Tempo durchaus langsam ist – die Appartement-Anlage mit dem großen Garten bietet viele Möglichkeiten, das Team um Sabine Seckinger schafft mit liebevollen Details eine gemütliche Atmosphäre. Es wird täglich frisch gekocht, einmal in der Woche gemeinsam Brot gebacken und selbstverständlich geht’s bei Ausflügen auch regelmäßig raus aus der Idylle. Mit Ehemann Andreas testet Sabine Seckinger in den Wintermonaten, welche Ausflugsziele behindertenfreundlich sind, wichtigstes Kriterium ist die Existenz einer Behindertentoilette: „Da kann die Aussicht noch so schön sein“, erklärt sie. Der Blautopf wurde deshalb von der Liste gestrichen: „Es wurde dort ein neues WC gebaut, aber ohne Behindertentoilette“, erklärt Sabine Seckinger, die sich nach zehn Jahren Erfahrung in Bezug auf dieses Thema über nichts mehr wundert. Ziele gibt’s aber dennoch genug, gerne werden die Wünsche der Gäste erfüllt: „Mir hat das Kloster Zweifalten besonders gut gefallen“, erzählt Margrit Lembke. Begeistert war die Urlaubsgruppe jüngst vom Ausflug zu Albgold mit seinem Kräutergarten. Beliebt sind auch die Ausfahrten über die Schwäbische Alb, bei denen Andreas Seckinger als Fremdenführer fungiert. Das Team ergänzen die Mitarbeiterinnen Andrea Röser und Diana Hoffmann.

Vor zehn Jahren hat Sabine Seckinger die „Urlaubsidylle-Alb“ gegründet, nach wie vor gibt es ihren Erfahrungen nach nichts Vergleichbares in Deutschland: „Der Urlaub steht bei uns im Focus.“ Die pflegebedürftigen Partner werden von einem externen Pflegedienst betreut und jedes Appartement ist mit einem Notruf ausgestattet, bei einem nächtlichen Notfall würde das Deutsche Rote Kreuz kommen: „Die Gäste kennen es, es ist wie bei ihnen zu Hause.“ Entsprechend groß ist die Nachfrage aus ganz Deutschland, das Haus ist in der Regel ausgebucht. Und das nicht nur von Rentnern, auch jüngere Unfallopfer verbringen ihren Aufenthalt bei Sabine Seckinger: „Wir sind ein ganz normaler Urlaubsort.“ Das können das Ehepaar Weik, Erwin Zeller und Gunda Müller sowie die Alleinreisende Margrit Lembke nur bestätigen, gerne würden sie im nächsten Jahr wieder gemeinsam ihren Urlaub in Hengen verbringen – weil’s so schön ist, da sind sie alle einer Meinung. „Diese Aufmerksamkeit zu bekommen sind wir gar nicht mehr gewohnt“, unterstreicht Gunda Müller.

Geschrieben von Kirsten Oechsner